Leitlinie Tag: Alkoholdelir und Verwirrtheitszustände
Was gibt es Neues?
- Im kürzlich publizierten Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) wurden die Kriterien für das Delir revidiert. Danach müssen Regulationsstörungen der Aufmerksamkeit vorhanden sein, die gemeinsam mit Bewusstseinsstörungen quantitativer Art (Vigilanz) oder qualitativer Art (betreffend Denken, Wahrnehmung, andere kognitive und emotionale Leistungen) auftreten. Die akute Symptomatik darf nicht allein durch eine vorbestehende Erkrankung erklärt sein und sollte nicht im Zusammenhang mit einem Koma oder Erwachen aus dem Koma beobachtet werden (European Delirium Association 2014, Nydahl und Hansen 2019, Maschke 2019).
- Frühere Begriffe wie hirnorganisches Psychosyndrom, Durchgangssyndrom oder akute organische Psychose sollten nicht mehr benutzt werden.
- Treten delirante Symptome (D) auf, sollte auch auf die Auslösefaktoren „Schmerz“ (pain, P) und Agitiertheit (A) geprüft werden (PAD-Management).
- Beim hyperaktiven Delir (ohne Alkolholentzug) ist gerade bei geriatrischen Patienten Melperon oder Pipamperon wirksam, insbesondere zur Behandlung der psychomotorischen Unruhe bei nächtlich betonten Verwirrtheitsphasen.
- Beim Delir (speziell beim Alkoholentzugsdelir) sind Clonidin und Dexmedetomidin als sedierende Alpha-2-Rezeptor-Agonisten auch zur Kontrolle von Hypertension und Tachykardie geeignet und beeinflussen die Atmung nur wenig. Bei Clonidin ist insbesondere bei älteren Patienten die lange Halbwertszeit zu berücksichtigen.
- Typische Neuroleptika wie Haloperidol oder atypische Neuroleptika wie Risperidon bzw. Ziprasidon sollten nach neueren Studien nur mit großer Zurückhaltung eingesetzt werden. Die Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation wird durch diese Medikamente nicht verkürzt.
- Medikamentöse Strategien zur Delirvermeidung beschränken sich auf das Absetzen von Risikomedikationen und die Vermeidung von Psychopharmaka und Substanzen mit anticholinerger Wirkung. Neuroleptika, Cholinesterasehemmer und Melatoninderivate zeigten bislang keinen überzeugenden Nutzen. Zur Vermeidung des postoperativen Delirs kann unter Monitorbedingungen Dexmedetomidin sinnvoll sein.
- Neben der medikamentösen Therapie haben nicht pharmazeutische Konzepte zur Delirprävention und -therapie eine mindestens so große Evidenz, insbesondere bei einer vorbestehenden Demenzerkrankung.
Die wichtigsten Empfehlungen auf einen Blick
- Das Delir ist eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung mit einer Letalität von über 30 % und tritt mit zunehmendem Lebensalter immer häufiger auf. Ein Delir bedarf umgehender Diagnostik und Therapie zur Vermeidung sekundär verbleibender kognitiver Einschränkungen.
- Das Delir ist klinisch v. a. definiert als akut und fluktuierend auftretende Verwirrtheit, Vorhandensein von Aufmerksamkeitsstörungen und einer vorliegenden organischen Genese, also keiner psychiatrischen Grunderkrankung.
- Es wird nach ICD-10 ein Delir ohne Demenz (F05.0) von einem Delir bei Demenz (F05.1) und von einem postoperativen Delir oder gemischten Delir (F05.8) unterschieden.
- Es sollte ein hyperaktives Delir (gesteigerte motorische Unruhe und Rastlosigkeit; ungeduldiges, eventuell aggressives Verhalten) von einem hypoaktiven Delir abgegrenzt werden (motorische und kognitive Verlangsamung, reduzierte Aktivität, Antriebslosigkeit bis hin zur Apathie).
- Die Diagnose Delir erfordert weiterhin eine ärztliche klinische und ggf. apparative Diagnostik, damit organische Hirnerkrankungen mit einer deliranten Symptomatik nicht verkannt und die Ursachen abgestellt werden.
- Der wichtigste erste diagnostische Schritt ist die exakte Anamnese und Erhebung der Fremdanamnese, inklusive Kenntnis der Medikamenten-, Alkohol- sowie Drogenanamnese, dann folgt die allgemeine und neurologisch-psychiatrische körperliche Untersuchung, ergänzt durch apparative Verfahren (v. a. Labordiagnostik, ggf. zerebrale Bildgebung). Eine Überdiagnostik ist häufig und sollte vermieden werden.
- Bei Fragen zum Delir sollen zunächst Medikamente überprüft und ggf. abgesetzt oder reduziert werden (siehe z. B. PRISCUS-Liste (https://media.gelbe-liste.de/documents/priscus-liste.pdf) oder FORTA-Liste (https://www.umm.uni-heidelberg.de/klinische-pharmakologie/forschung/forta-projekt-deutsch). Wichtig ist, dass man vor allem bei älteren Menschen zumindest auf stark anticholinerge Arzneimittel verzichtet und diese nicht weiter verabreicht.
- Es soll speziell nach Over-the-counter-Medikation (OTC) wie Schlafmitteln oder Erkältungsmitteln oder auch nach alkoholenthaltenden Tonika gefragt werden (enthalten häufig Antihistaminika wie Doxylamin, Diphenhydramin oder Kombinationen aus Doxylamin/Dextrometorphan/Ephedrin + Paracetamol + 18 % Alkohol).
- Interprofessionelle Delir-Screeningverfahren erleichtern die Erkennung des Delirs.
- Als Skala zur Quantifizierung und Einordnung eignet sich die Delirium Motor Subtype Scale, die als deutsche Version validiert ist. Die Skala besteht aus 11 Kriterien, davon 4 für die hyperaktive Form und 7 für die hypoaktive Form. Für die Klassifikation z. B. als hyperaktives Delir müssen ≥ 2 Kriterien aus 1–4 erfüllt sein. Ein geeignetes Screeningtool auf das Vorliegen eines Delirs ist die Confusion Assessment Method (CAM), die insbesondere im klinischen Alltag effektiv und valide durchführbar ist.
- Grundsätzlich ist die medikamentöse Therapie eines Delirs eine zeitlich limitierte und symptomorientierte Maßnahme. Alle Medikamente eignen sich nicht zur dauerhaften Therapie. Ein Monitoring der Delirsymptome muss erfolgen (z. B. CAM-Skala).
- Der Patient sollte zunächst engmaschig überwacht werden, je nach Schwere des Delirs insbesondere bei markanten vegetativen Symptomen und der Notwendigkeit der Gabe intravenöser Medikamente möglichst auf einer Intermediate Care Unit mit Möglichkeiten der Zentralüberwachung von Vitalparametern. Um ein Delir auf einer Normalstation zu behandeln, sollte neben dem pharmazeutischen und medizinischen Management auch ein nicht pharmazeutisches Delirmanagement durchgeführt werden, z. B. eine Bezugspflege, kognitiv aktivierende Maßnahmen und Reorientierung.
- Eine Reizüberflutung (durch Licht- und Lärmeinwirkung) wie auch eine Reizdeprivation (Immobilität, „kognitiver Leerlauf“, fehlende Re-orientierungsmaßnahmen) und Mangelernährung sollen vermieden werden. Anzustreben sind eine möglichst hohe Konstanz der therapeutischen und pflegerischen Bezugspersonen und ein enger Kontakt zu Angehörigen (ggf. Rooming-in). Ziel ist die täglich mehrfache physische und kognitive Aktivierung, sei es bei der unterstützten Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme oder beim mehrfachen Verlassen der Liegeposition zumindest in die sitzende Position, soweit medizinisch vertretbar und möglich (Frühmobilisierung).
- Jede Fixierungsmaßnahme sollte vermieden werden. Bei unvermeidlicher Fixierung (i. d. R. psychomotorische Unruhe mit V. a. Eigen- oder Fremdgefährdung) müssen die Fixierungszeiträume auf ein Minimum beschränkt, technisch sicher durchgeführt und ein Fixierungsprotokoll angefertigt werden. Die rechtlichen Voraussetzungen des jeweiligen Staates bzw. Bundeslandes müssen beachtet werden.
- Die nicht medikamentöse Therapie als erster Schritt eliminiert Auslösefaktoren und optimiert die Umgebungsverhältnisse des deliranten Patienten (kognitive Aktivierung und Reorientierung tagsüber, Schlafhygiene, Bezugspflege).
- Die Auslösefaktoren Infektion und Schmerz sollten überprüft und bei einem Delir konsequent behandelt werden (u. a. niedrigschwellige anti-infektiöse Therapie, Analgesie, Wund- und Katheterkontrolle bzw. angstreduzierende und reorientierende, nicht pharmazeutische Interventionen).
- Die medikamentöse Therapie richtet sich nach dem Schweregrad und der Form des Delirs. Beim unkomplizierten hyperaktiven Delir ist Gabe von Melperon 25–50 mg 1–3x täglich oder Pipamperon 12–40 mg 1–2x täglich sinnvoll. Bei überwiegend nächtlicher Ausprägung sollte Pipamperon wegen der längeren Halbwertszeit bevorzugt werden. Nur bei Alkoholentzug kommt ggf. eine Kombination mit Lorazepam bzw. Clonazepam 3–4x tgl. 1 mg p. o. infrage. Bei geriatrischen Patienten mit Delir anderer Ursache sollten Benzodiazepine vermieden werden. Für eine neuroleptische Therapie mit hochpotenten Neuroleptika ergibt sich nur bei inhaltlichen Denkstörungen (Verkennen der Situation, Halluzinationen) eine Indikation.
- Wenn eine orale Applikation bei einem schweren Delir v. a. durch Alkoholentzug nicht möglich ist, sollte eine parenterale Kombinationstherapie erfolgen. Intravenöses Diazepam oder Midazolam kann dann mit i. m. Haloperidol (stets unter Monitorbedingungen, Rote-Hand-Brief vom Dezember 2017 bezüglich Kontraindikationen beachten) kombiniert werden. Beim hypoaktiven Delir sind diese Substanzen nicht indiziert.
- Die intravenöse Delirtherapie ist obligatorisch auf der Überwachungsstation unter Monitorkontrolle durchzuführen. Supplementär wird Clonidin i. v. eingesetzt, um die sympathikotone Überaktivität zu dämpfen. Dexmedetomidin ist als Dauerinfusion besser steuerbar und eine sinnvolle Alternative.
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Was gibt es Neues?
Seit dem Erscheinen der letzten Auflage im Jahr 2012 haben sich für die Therapie des Alkoholdelirs keine grundlegenden Neuigkeiten ergeben. Randomisierte Studien sind lediglich zum Thema Antikonvulsiva veröffentlicht worden, ohne dass dies die Therapieleitlinien wesentlich beeinflussen würde. Dagegen wurden Metaanalysen in der Cochrane Library publiziert, die das bisherige Vorgehen unterstützen. Clomethiazol ist weiterhin das in Deutschland zumindest in psychiatrischen und neurologischen Einrichtungen am häufigsten verwendete Medikament zur Behandlung des Alkoholdelirs. Benzodiazepine werden vor allem in der intensivmedizinischen Behandlung auf anästhesiologischen und interdisziplinären Stationen verwendet, wobei die Möglichkeit der intravenösen Gabe der entscheidende Vorteil ist. Wichtige Neuerung ist, dass die Gabe von Haloperidol aufgrund der möglichen Nebenwirkungen, insbesondere der Induktion von Herzrhythmusstörungen, sehr restriktiv gehandhabt werden sollte. Wenn notwendig, sollte sie nur unter Monitorbedingungen erfolgen (alternativ i.m.). Die vorliegende Leitlinie wurde aktualisiert und auch im Hinblick auf die Gegebenheiten in der Schweiz und Österreich vervollständigt. Clomethiazol und Chlordiazepoxid sind beispielsweise in Österreich nicht zugelassen. Darüber hinaus wurde auf Verwirrtheitszustände anderer Genese eingegangen.
Die wichtigsten Empfehlungen auf einen Blick
- Die Diagnose Alkoholdelir setzt eine genaue klinische und ggf. apparative Diagnostik voraus, damit organische Hirnerkrankungen, die ebenso das Bild des deliranten Syndroms zeigen, nicht verkannt werden.
- Das unvollständige Delir, das sog. Prädelir (vegetative Symptomatik oder Halluzinationen), ist mit oralen GABA-ergen Substanzen zu behandeln: Clomethiazol, Benzodiazepine. Bei milder Ausprägung ist ein 6-tägiges Regime mit Carbamazepin möglich.
- Beim Vollbild des Delirs sind Benzodiazepine und Clomethiazol, bevorzugt in symptomgetriggerter Dosis (d.h. entweder nach etablierten Skalen wie CIWA-Ar oder anhand von Herzfrequenz, Blutdruck, Tremor), gut wirksam. Die Kombination mit einem i.v. Neuroleptikum, z.B. Haloperidol, ist nur unter Monitorbedingen bei ausgeprägten Halluzinationen und Erregungszuständen im Rahmen eines vollständigen Delirs zu empfehlen. Haloperidol ist bei Hypokaliämie und/oder Hypomagnesämie oder gemeinsam mit Flunitrazepam besonders arrhythmieträchtig. In therapierefraktären Fällen gibt es erste Erfolge mit Propofol und Dexmedetomidin.
- Sehr schwere Verläufe machen eine parenterale Therapie auf der Intensivstation notwendig. Untersucht sind die Kombinationen Diazepam/Haloperidol und Midazolam/Haloperidol. Zusätzlich kann Clonidin gegeben werden.
- Adjuvante Therapie des vollständigen Delirs mit einer adäquaten Flüssigkeitszufuhr (bis 4000 ml unter ZVD-Kontrolle) , Magnesium (Magnesiumcitrat oder Magnesiumaspartathydrochlorid 3 × 100 mg), Elektrolytausgleich sowie Vitamin B1 (initial 100 mg i.v. oder i.m., danach 1–3 × 100 mg p.o.) . Bei geringsten Hinweisen auf eine Wernicke-Enzephalopathie (Bewusstseinstrübung/ Verwirrtheit, Ataxie, komplexere Augenmotilitätsstörung), die auch inkomplett vorliegen kann: Thiamin über 7 Tage in hoher Dosis (täglich 3x250–500 mg i.v. über 30 min. in jeweils 50–100 ml Ringer oder 0,9% NaCl-Lsg), CAVE: Tachyphylaxie bei der ersten Thiamin-Infusion.
- Behandlungsversuche des Delirs mit Alkohol sind kontraindiziert.
Einführung
- Begründung der Notwendigkeit einer Leitlinie
Alkoholdelir und akute Verwirrtheitszustände zählen zu den häufigsten Ursachen für eine Krankenhausaufnahme und verlängern die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus und auf Intensivstationen. Insbesondere bei älteren Patienten ist die Dauer des Delirs ein positiver Prädiktor für kognitive Langzeitschäden, weshalb die frühzeitige Erkennung und Behandlung des Delirs eine wesentliche prognostische Bedeutung besitzt (Alexander et al. 2013). Das Alkoholdelir hat unbehandelt eine hohe Letalität von bis zu 15%. Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass die Behandlung des Alkoholdelirs und der Verwirrtheitszustände sehr uneinheitlich gehandhabt wird, ist die vorliegende Leitlinie notwendig. - Ziele der Leitlinie
Die Leitlinie gibt Anhaltspunkte für die korrekte Diagnose eines Alkoholdelirs und akuten Verwirrtheitszustandes. Die Leitlinie soll die Akuttherapie und die adjuvante Therapie des Delirs darstellen. - Patientenzielgruppe
Alle erwachsenen Patienten mit Alkoholdelir und akutem Verwirrtheitszustand. - Versorgungsbereich
Stationäre Versorgung in Akutkrankenhäusern. - Adressaten der Leitlinie
Neurologen in Akutkrankenhäusern. - Schlüsselwörter
F05.01, F05.1, F05.8, F05.8, F10.4
Definition und Klassifikation
Begriffsdefinition
Das Alkoholdelir (Synonym: Delirium tremens [DT], Entzugsdelir) ist eine potenziell lebensbedrohliche akute Folge des chronischen Alkoholismus mit psychotischer und neurovegetativer Symptomatik. 3% der Bevölkerung sind alkoholkrank, 5% (3–15%) der Alkoholkranken erleiden Delirien, 12–23% der Delirkranken machen Rezidive durch. Der akute Verwirrtheitszustand wird synonym zum Begriff Delir verwandt und meint dabei vornehmlich delirante Zustände, die nicht durch Alkohol oder Drogen ausgelöst werden. Er tritt sehr häufig postoperativ bei bis zu 30% der Patienten auf Intensivstationen auf - insbesondere bei älteren Menschen. Die klinische Symptomatik setzt sich aus psychischen, neurologischen und autonomen Symptomen zusammen (die Symptombeschreibung des ICD-10-GM 2005 unter F 10.4 und F 05 ist für den klinischen Gebrauch wenig hilfreich). Die Kernsymptome des Delirs umfassen vorübergehende qualitative und quantitative Bewusstseinsstörungen und kognitive Defizite. Alle anderen im Folgenden genannten Symptome sind zwar häufig, aber fakultativ.
Symptomgruppe des exogenen Reaktionstyps
- Gedächtnisstörungen, Desorientiertheit und Denkstörungen (oft verworren, vorbeiredend und weitschweifig)
- Psychomotorische Unruhe mit Jaktationen der Extremitäten oder des Kopfes und Antriebssteigerung mit Bettflucht , Übererregbarkeit, Schreckhaftigkeit und Schlafstörungen; bei schweren Verläufen Bewusstseinsstörungen, selten Koma
- Affektive Störungen mit Heiterkeit oder Angst (Selbst- und Fremdgefährdung!)
- Epileptische Anfälle bei 20%, bevorzugt im anlaufenden Delir (Prädelir“)
Symptomgruppe der halluzinatorischen Psychose
- Illusionäre Verkennungen mit Beziehung zum Alkohol (Pfleger wäre der Kellner)
- Szenisch-optische und taktile Halluzinationen (Würmer, Käfer, kleine Elefanten laufen auf der Haut, häufig haben die Halluzinationen einen Bezug zu Szenen aus dem Alltagsleben des Patienten), seltener akustische (z.B. Marschmusik, Akoasmen,) und andere Halluzinationen
- Suggestibilität (Patient liest von einem leeren Blatt ab, trinkt aus dem imaginären Glas, bindet Knoten ohne Faden)
- Bisweilen Paranoia und andere Wahnformen
Symptomgruppe der neurovegetativen Entgleisung
- Hyperthermie bis 38,5 °C
- Hypertonie bis 180/110 mmHg (teilweise auch Hypotonie)
- Tachykardie
- Bisweilen Hyperventilation
- Profuse Hyperhidrose
- Grobschlägiger Tremor (8–9 Hz)
- Hyperreflexie, bisweilen Mydriasis
Diagnostik
Präambel
Die Diagnose des DT ist eine klinische. Sie stützt sich auf Eigen- und Fremdanamnese, die exakte internistische, neurologische und psychiatrische Untersuchung und eine begrenzte Zusatzdiagnostik. Es muss v.a. auf Co-Faktoren für die Entwicklung eines nicht-alkoholbedingten Delirs geachtet werden (z.B. Einnahme von Psychopharmaka, Sedativa Entzug, Infektionen, operativer Eingriff, Fixierung, Seh- und Hörbehinderung etc.).
Anamnese
- Vorausgegangene Entzüge, Delirien?
- Manchmal korrekte Angabe des Alkoholkonsums, häufig Dissimulation durch Patient und Angehörige
- Verwendung von Psychopharmaka, Drogen, psychiatrische Vorgeschichte
- Verkehrsdelikte (Führerschein)?
- Lebenssituation (Arbeitslosigkeit), berufliche Alkoholexposition?
Klinische Untersuchung
- Delirantes Syndrom (s. o.)
- Häufig Zeichen der Mangelernährung und Exsikkose
- Häufig Sturz- und Stoßverletzungen
- Manchmal noch Foetor alcoholicus
- Zeichen der Leberdysfunktion: Lebervergrößerung, Gerinnungsstörung, Ikterus u. a.
- Globale Muskelverschmächtigung und Stammfettsucht, faziale Teleangiektasien
- Häufig Polyneuropathie und zerebelläre Ataxie
Labor
- Bisweilen noch erhöhte Werte für Blutalkohol
- Sehr häufig erhöhte Transaminasen und erhöhtes Bilirubin sowie CDT (Carboanhydrase defizientes Transferrin)
- Im Blutbild häufig erhöhtes MCV, Anämie und Thrombozytopenie
- Plasmatische Gerinnungsstörungen
- Häufig erhöhte CK und erhöhtes Myoglobin (z.B. durch Stürze oder toxische Myopathie, Cave: Rhabdomyolyse, CK kann aber auch auf stattgefundene Anfälle hinweisen)
- Häufig erhöhte Harnsäure und erhöhte Triglyzeride
- Häufig erniedrigtes Kalium, Natrium und Magnesium
- Häufiger pCO2-Erniedrigung bzw. respiratorische Alkalose
- Bisweilen erhöhte Lipase und Alpha-Amylase
- Seltener erhöhte alkalische Phosphatase
- Seltener erhöhter Gesamtstickstoff und erhöhtes Kreatinin
Zusatzdiagnostik
- Röntgen-Thorax
- EKG
- Entzündungsparameter
Im Einzelfall erforderlich
- Bei initialen Anfällen, neurologischen Herdzeichen, Bewusstseinsstörungen (A):
- CCT (Trauma? z.B. Subdurales Hämatom)
- MRT (Wernicke-Enzephalopathie? Marchiafava-Bignami-Syndrom)
- Blutkultur, Liquor (Meningoenzephalitis?)
- EEG (nach Anfall, nichtkonvulsiver Status epilepticus?)
- Antikörperdiagnostik bei V.a. limbische Enzephalitis (z.B. Anti-Hu, Kalium-Kanal-Antikörper etc.)
- Endokrine Diagnostik (Steroid-responsive Enzephalopathie bei Autoimmunthyroiditis (SREAT, syn.: Hashimoto Enzephalopathie)? Erhöhtes Parathormon bei primären Hyperparathyreoidismus?)
Im EEG findet sich, soweit bei psychomotorischer Unruhe ableitbar, oft eine Verlangsamung der Grundaktivität und im Liquor eine leichte Zellzahlerhöhung. Pathognomonische Laborwertveränderungen oder Befunde in der zerebralen Bildgebung existieren nicht. Nicht selten findet sich allerdings eine frontal und infratentoriell betonte globale Atrophie.
Die Differenzialdiagnose des Alkoholdelirs und des akuten Verwirrtheitszustandes umfasst Bewusstseinsstörungen und Enzephalopathien mit und ohne deliranter Unruhe, produktiv-psychotischen Phänomenen und vegetativer Entgleisung (Hansen 2013):
- Andere Entzugsdelirien (z.B. bei Benzodiazepin- oder Drogen-/Barbituratabhängigkeit) Intoxikationsdelirien (z.B. bei Kokain-, Stimulantien-, Cannabis-, Lösungsmittel- oder Halluzinogenmissbrauch), Pharmakogene (L-Dopa) und toxische Psychosen, anticholinerges und serotonerges Syndrom
- Floride schizophrene Psychose, Manie. Alkoholfolgeerkrankungen: Wernicke-Korsakow-Syndrom, Alkoholhalluzinose
- Verwirrtheitszustände bei vorbestehender kognitiver Störung oder Demenz
- Posttraumatische Syndrome (Hirnkontusion, subdurales Hämatom nach initialem Anfall oder Sturz in der Alkoholintoxikation)
- Posthypoxische, posthypoglykämische Enzephalopathien
- Metabolische (hepatische, urämische) und endokrine (hyperthyreote) Enzephalopathien
- Epileptische postiktale Syndrome, nichtkonvulsiver Status epilepticus
- Septische Enzephalopathie
- Entzündungen des ZNS: bakterielle Meningitis und Enzephalitis
- Limbische Enzephalitis (v.a. durch NMDA-Antikörper, z.B. paraneoplastisch oder autoimmunbedingt)
- Schmerzhafte Zustände (z.B. Harnverhalt, Gallenkoliken)
- Dissoziative Zustände
Therapie
Allgemeine Empfehlungen zur Therapie
Die Mehrzahl der Alkoholentzüge erfolgt ambulant, zum großen Teil ohne ärztliche Hilfe. Patienten mit ausgeprägten Entzugssymptomen (mindestens ab dem unvollständigen Delir, „Prädelir“) sind stationär zu behandeln, ebenso Patienten mit komplizierten Verläufen in der Vorgeschichte (z.B. Entzugsanfälle oder Delirien). Kranke mit einem lebensbedrohlichen Delir (s.o.) gehören auf die Intensivstation. Jeglicher akute Verwirrtheitszustand ist stationär zu behandeln.
Pharmakotherapie
Vorgehen bei der Aufnahme
- Kontrolle und Stabilisierung der Vitalfunktionen
- Sicherer venöser Zugang, Blutentnahme, ggf. Drogen-Screening aus dem Urin
- Internistische und neurologische Untersuchung
- Eigenanamnese – soweit möglich, Fremdanamnese
- Bei jedem Patienten Vitamin B1 50–100 mg i.v. oder 3 x 100 mg p.o., bei Verdacht auf eine Wernicke-Enzephalopathie sogar höhere Dosen bis 3 x 100 mg i.v., erst dann glukosehaltige Infusionslösungen
Bei besonderer Indikation: initiale Sedierung
Allgemeine Therapiemaßnahmen
- Adäquate Überwachung und Patientensicherung, ggf. richterliche Unterbringung (in Deutschland nach PsychKG oder Betreuungsgesetz)
- Fixierungszeiträume auf ein Minimum beschränken, technisch sicher durchführen (5-Punkt-Fixierung oder diagonale 3-Punkt-Fixierung: Extremitäten, Bauchgurt), Fixierungsprotokoll anfertigen, adäquate Beobachtung des Fixierten ggf. durch eine Sitzwache oder im Überwachungsraum, hochfrequente Kontrolle der Fixierung dokumentieren
- Flüssigkeitszufuhr je nach individuellem Bedarf, ggf. unter ZVD-Kontrolle
- Exakte Bilanzierung, ZVD, Bettwaage hilfreich (inadäquate ADH-Sekretion möglich)
- Zufuhr von Magnesium (100 mg Magnesiumcitrat oder Magnesiumaspartathydrochlorid einmal täglich) und Spurenelementen
- Hypokaliämie häufig, adäquate Kaliumzufuhr
- Hyponatriämie, falls vorhanden, nur langsam ausgleichen wegen Gefahr der zentralen pontinen Myelinolyse (Steigerung des Na-Spiegels maximal um 0,6 mmol/h, Berechnung des Natriumdefizits: Na+-Defizit = [135 mmol/l – Na+Ist] x 0,3 x kg KG; Infusion von 2–5%iger NaCl-Lösung unter stündlicher Kontrolle von Natrium)
- Ruhige, gut beleuchtete Umgebung wegen Unruhe, Desorientierung und Angst, Verwendung von Seh- und Hörhilfen, Zuwendung und verbale Orientierung, Schaffung eines Tag-Nacht-Rhythmus
- Vitamin-B1-Mangel bei 50% der Alkoholkranken (Gefahr der Wernicke-Enzephalopathie, WE), Prophylaxe der WE mit Thiamin 3 x 50–100mg/d p.o. über 7–14 Tage (bei Erbrechen, Dysphagie oder Malabsorption i.v. oder i.m.).
Verlaufsbeurteilung:
- Die Remission des Delirs sollte spätestens innerhalb von 2 Wochen erkennbar sein. Anderenfalls ist nach weiteren deliriogenen Ursachen zu fahnden.
- Übersehene 2. Ursache (aus Hansen und Förstl 2013)
- Adjuvante Pharmakotherapie (z.B. Opioide)
- Entzug unbekannter Substanzen
- Intoxikation (z.B. Digitalis, Lithium)
- Non-konvulsiver Status epilepticus
- Meningo-Enzephalitis, Neurotrauma (SDH), zerebrovaskuläre Erkrankungen
- Enzephalopathien (z.B. endokrin / Elektrolytstörung - osmotische Demyelinisierung)
Spezielle Pharmakotherapie
Die Medikation zur Behandlung des Alkoholdelirs und akuten Verwirrtheitszustandes anderer Ätiologie sollte sedieren, ohne die vitalen Schutzreflexe zu beeinträchtigen. Außerdem sollte die Medikation die epileptische Krampfschwelle erhöhen, die autonome Überaktivität dämpfen und antipsychotisch wirksam sein, ohne wesentliche Nebenwirkungen zu entwickeln. Da keine Einzelsubstanz alle Anforderungen erfüllt, sind Kombinationstherapien möglich.
Verschiedene Individuen benötigen höchst unterschiedliche Dosen. Die Behandlung des unvollständigen Delirs (synonym Entzugssyndrom) ist mit oralen Gaben von Benzodiazepinen oder Clomethiazol leicht durchzuführen. Letzteres ist bei Patienten mit schweren pulmonalen Erkrankungen vor allem wegen der Hypersekretion nicht anzuwenden. Das manifeste (vollständige) DT kann p. o. mit einem Benzodiazepin oder mit Clomethiazol allein behandelt werden. Wir empfehlen die orale Kombinationstherapie einer GABA-ergen Substanz (Benzodiazepin oder Clomethiazol) mit einem Neuroleptikum.
Die Behandlung des unvollständigen Delirs kann alternativ zu Benzodiazepinen oder Clomethiazol auch mit Antikonvulsiva (Carbamazepin) durchgeführt werden. Allerdings sind die Studienergebnisse hinsichtlich einer Gleichwertigkeit oder gar Überlegenheit gegenüber Clomethiazol oder Benzodiazepinen sehr heterogen. Eine Metaanalyse von Polycarpou et al. (2005) kommt zu keinem eindeutigen Schluss. Benzodiazepine sind in Metaanalysen, zuletzt von Amato et al. (2010), in ihrer Wirksamkeit sehr gut bewiesen. Am häufigsten wurden in randomisierten Studien Diazepam, Lorazepam und Chlordiazepoxid untersucht.
Beim sehr schwerem, lebensbedrohlichen Delir reicht die orale Behandlung nicht aus, eine intravenöse Kombinationstherapie ist sinnvoll. Intravenöses Diazepam oder Midazolam kann mit Haloperidol kombiniert werden, alternativ auch mit i.m. Haloperidol. Die intravenöse Delirtherapie ist obligatorisch auf der Intensivstation unter Monitorkontrolle durchzuführen. Supplementär wird Clonidin i.v. eingesetzt, um die sympathikotone Überaktivität zu dämpfen. Dexmedetomidin war in Einzelfällen und kleineren Fallserien zur Einsparung von Benzodiazepinen hilfreich (Awissi et al. 2013). Therapierefraktäre Delirien können mit Propofol gebessert werden.
Die in Tabelle 1 dargestellte Eskalationstherapie des Alkoholdelirs ist aus der täglichen Praxis der Autoren erwachsen. Kontrollierte Studien liegen vor für Benzodiazepine, Clomethiazol, Carbamazepin, Clonidin und die Kombination von Benzodiazepinen mit Neuroleptika. In der Mehrzahl der Studien werden allerdings Patienten allein mit Alkoholentzugssyndromen (vegetativer Entzugssymptomatik/unvollständigem Delir) beschrieben oder es werden solche mit Entzugssyndrom oder manifestem Delir gemischt. Dies ist hinsichtlich der Aussagekraft der Studien zum voll ausgebildeten, manifesten Delir zu berücksichtigen. Deshalb sind alte retrospektive Studien, die sich allein dem Krankheitsbild vollständigen Delirs widmen, durchaus noch wertvoll.
Die Wirkung von Benzodiazepinen gegen Plazebo oder gegen ein Verum wurde in einer Metaanalyse mit 11 Studien und 1286 Patienten beschrieben (Holbrook et al. 1999): Benzodiazepine sind Plazebo überlegen, und keine andere Substanz - einschließlich Betablockern, Carbamazepin und Clonidin - ist günstiger. Mayo-Smith kam 1997 in seiner Metaanalyse zu dem Ergebnis, dass Benzodiazepine die Schwere des Entzugs sowie die Häufigkeit von manifesten Delirien und epileptischen Anfällen reduzieren. Metaanalysen von Ntais et al. (2005) und Awissi et al. (2013) zeigten ebenfalls eine eindeutige Wirkung der Benzodiazepine, wobei jedoch eine eindeutige Überlegenheit gegenüber anderen Medikamenten nicht nachgewiesen werden konnte. Die letzte Metaanalyse von Amato et al. (2010) fasst 64 Studien zusammen. Dabei haben Benzodiazepine eine bessere Wirksamkeit als andere Substanzen wie etwa Antikonvulsiva, v.a. in der Kontrolle von Anfällen und in der Vermeidung eines Delirs. Chlordiazepoxid zeigte einen Trend für die beste Wirksamkeit, jedoch war dies gegenüber anderen Benzodiazepinen nicht signifikant. Aus zahlreichen Studien zusammengefasst (Schuchardt u. Hacke 2000) sind die folgenden Punkte bedeutsam: Benzodiazepine sind wegen der Sättigung der GABA-A-Rezeptoren sicherer als Clomethiazol, in der Monotherapie aber weniger effektiv. Wenn man alle Studien und Metanalysen zusammenfasst, sind alle Benzodiazepine als äquivalent anzusehen. Lang wirksame Substanzen wie Diazepam und Chlordiazepoxid (in Österreich nicht zugelassen) bieten Vorteile, können jedoch bei alten Menschen und Leberkranken zur Kumulation führen. Dieses Risiko bietet Lorazepam (z.B. Tavor) wegen seiner mittellangen Halbwertszeit und des Abbaus durch Glukuronidierung nicht. Einer streng symptomgetriggerten Dosierung ist der Vorzug vor festen Schemata zu geben (Amato et al. 2010, Awissi et al. 2013) (z.B. mittels Monitoring anhand CIWA-Ar [http://images2.clinicaltools.com/images/pdf/ciwa-ar.pdf] oder Gabe nach semi-quantifizierbaren vegetativen und neurologischen Zielsymptomen wie z.B. RR und Tremor). Benzodiazepine besitzen wie Alkohol (und Clomethiazol) das Risiko der Kumulation und sekundären Abhängigkeit.
Clomethiazol ist als GABA-erge Substanz sedierend, vegetativ stabilisierend, antikonvulsiv und anxiolytisch wirksam. Nach Mc Grath (1975) ist es potenter als Benzodiazepine und nach Ritola u. Malinen (1981) dem Carbamazepin überlegen. Majundar (1991) betont die Überlegenheit von Clomethiazol gegenüber anderen Substanzen bei frühem Einsatz. Überdosierungen kommen dafür leichter vor. Hauptnebenwirkungen sind Bronchorrhoe (kontraindiziert bei Lungenerkrankungen), Atemdepression und Kreislaufdepression. Die parenterale Applikationsform ist nicht mehr verfügbar. Clomethiazol ist mit Alkohol und anderen GABA-ergen Substanzen (Benzodiazepine) kumulativ wirksam. Wegen seines Abhängigkeitspotenzials soll es nur stationär verabreicht und vor der Entlassung ausgeschlichen werden (Schuchardt u. Hacke 2000).
Carbamazepin ist beim Entzugssyndrom (unvollständiges Delir) in einem 6-Tage-Schema (siehe Tab. 1) nach Ritola u. Malinen (1981) wirksam und Phenobarbital und Oxazepam ebenbürtig (Bjorkqvist et al. 1976, Malcolm et al. 1989). Nach einer kleinen randomisierten, einfach-blinden Untersuchung von Seifert et al. (2004) mit 37 Patienten im Entzugssyndrom hat es gegenüber Clomethiazol den Vorteil der geringeren kognitiven Beeinträchtigung. Zum Einsatz von Carbamazepin beim voll ausgebildeten Delir liegen keine Studien vor. Die Autoren gehen hier nach eigener Erfahrung eher von einer unzureichenden Wirkung aus. Inwieweit Antikonvulsiva insgesamt eine gute Alternative zu Clomethiazol oder Benzodiazepinen darstellen, bleibt nach einer neueren Metaanalysen weiterhin unklar (Polycarpou et al. 2005, Minozzi et al. 2010). Eine retrospektive Analyse zeigte eine bessere Verträglichkeit von Valproinsäure gegenüber Carbamazepin (Eyer et al. 2011). Diese Studie war aber retrospektiv und hatte unzureichend definierte Einschlusskriterien.
Clonidin und Dexmedetomidin sind als Alpha-2-Rezeptor-Agonisten zur Kontrolle von Hypertension und Tachykardie geeignet und beeinflussen die Atmung nahezu nicht (Baumgärtner 1988). Clomethiazol ist es aufgrund unzureichender Beeinflussung von Halluzinationen und epileptischen Anfällen dagegen unterlegen (Heuzeroth u. Grünklee 1988). Es eignet sich zur ergänzenden Beeinflussung der vegetativen Entgleisung mit einer Initialdosis von 0,025 mg/h i.v. und Tagesdosen von 0,29–2,37 mg (Fauler u. Verner 1993). Bei geringer Erhöhung der Herzfrequenz oder des Blutdruckes im Rahmen des Delirs können auch Betablocker wie Bisoprolol (2 x 2,5–2 x 5 mg) oder Metoprolol (25–200 mg) nach Ausschluss einer relevanten AV-Blockierung sinnvoll sein. Dexmedetomidin ist 8-mal stärker alpha-2 agonistisch wirksam und durch eine niedrigere Halbwertszeit (2 Stunden) leichter i.v. zu titrieren (0,2 - 1,4 µg/kgKG/h). Es ist auch anxiolytisch wirksam (Coursin et al. 2001) und zur intensivmedizinischen Kurz- und Langzeitsedierung zugelassen, es wird speziell zum Weaning eingesetzt. Aus kleinen Fallserien liegen erste positive Berichte zum Alkoholentzug als Zusatzmedikation zur Einsparung von Benzodiazepinen vor (Übersicht bei Awissi et al. 2013). Es liegen jedoch bislang keine Empfehlungen mangels kontrollierter Studien vor. Kontraindikationen sind kardiale Leitungsstörungen, Hypotonie und akute zerebrovaskuläre Erkrankungen.
Kombinationstherapien werden seit 1980 empfohlen. Spies et al. (1996) verglichen in einer prospektiven kontrollierten Studie an 156 Patienten die Kombinationen Flunitrazepam/Clonidin vs. Clomethiazol/Haloperidol vs. Flunitrazepam/Haloperidol. Es ließen sich keine signifikanten Unterschiede erkennen. Flunitrazepam/Clonidin dürfte hinsichtlich der Pneumoniehäufigkeit und Beatmungsbedürftigkeit Vorteile bieten, allerdings war die Wirkung auf Halluzinationen schlechter und kardiale Komplikationen kamen vermehrt vor. Dieselbe Arbeitsgruppe wies bei 44 chirurgischen Patienten nach, dass die Kombinationstherapie mit Flunitrazepam plus Clonidin plus (bei Halluzinationen) Haloperidol bedarfsadaptiert mit Boli günstiger ist als die Dauerinfusion mit Flunitrazepam: leichteres Alkoholentzugssyndrom, Medikation niedriger, Pneumonien seltener, Aufenthalt auf der Intensivstation kürzer (Spies et al. 2003).
Besonderheiten in der Schweiz und Österreich
Clomethiazol und Chlordiazepoxid sind in Österreich nicht zugelassen. Die rechtlichen Voraussetzungen für Unterbringungen sind landesspezifisch.
Wahrscheinlich unzureichende oder gefährliche Therapien
Phenytoin ist nicht antidelirant wirksam (Mayo-Smith 1997, Alldredge et al. 1989, Eyer et al. 2011). Valproat wurde bisher nur beim Alkoholentzugssyndrom untersucht, beim Delir fehlen prospektive Studien Untersuchungen. Über die Wirkung von Topiramat, Vigabatrin oder Gabapentin beim Delir sind Aussagen noch nicht möglich. Epileptische Anfälle werden nach der Erfahrung der Autoren durch Benzodiazepine und Clomethiazol, im Prädelir mit Carbamazepin, in der Regel ausreichend kontrolliert. Zur Monotherapie sind Neuroleptika wegen der Erniedrigung der Krampfschwelle, extrapyramidaler Nebenwirkungen, Verlängerung des Delirs und einer erhöhten Letalität nach Athen et al. (1986) nicht vertretbar. Sie sind nach einer Metaanalyse (Mayo-Smith et al. 2004) sedierend-hypnotischen Substanzen wie Benzodiazepinen unterlegen. In der Kombination mit Clomethiazol oder einem Benzodiazepin dürften die negativen Aspekte der Neuroleptika allerdings nicht von Bedeutung sein. Unzureichend ist eine Monotherapie mit Betablockern und Kalziumantagonisten; Paraldehyd und Barbiturate gelten als obsolet.
Einzelne Mitteilungen liegen vor für Tiaprid, Propofol, Gamma-Hydroxy-Buttersäure, Dexamethason, Nimodipin, Alprazolam, den Benzodiazepinrezeptor-Agonisten Abencarnil sowie für Akupunktur.
Versorgungskoordination
Nur 10–20% aller Delirpatienten bleiben nach dem alkoholbdedingten Delir alkoholabstinent. Eine längerfristige Entwöhnung ist immer anzustreben. Der Einsatz von Anti-Craving-Substanzen, z.B. Acamprosat oder Naltrexon, ist bei glaubhaft zur Abstinenz bereiten Patienten zu erwägen (Schaffer u. Naranjo 1998, Mann et al. 2009). Diese Substanzen werden gegenwärtig hinsichtlich ihrer differenzierten Indikationsstellung untersucht. Ihre Verabreichung sollte aber in einem suchtmedizinischen Gesamtkonzept mit suchtmedizinisch ausgebildeten Psychiatern abgestimmt werden.
Redaktionskomitee
Mitglieder
Prof. Dr. U. Bonnet, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Evangelischen Krankenhaus Castrop-Rauxel
Prof. Dr. H.-C. Hansen, Klinik für Neurologie und Psychiatrie, Friedrich-Ebert-Krankenhaus Neumünster
Prof. Dr. M. Maschke, Abteilung für Neurologie und Neurophysiologie, Brüderkrankenhaus Trier
Prof. Dr. Th. Müller, Universitätsklinik und Poliklinik für Psychiatrie, Bern
PD Dr. B. Pfausler, Universitätsklinik für Neurologie, Innsbruck
Prof. Dr. V. Schuchardt, Neurologische Klinik, Klinikum Lahr
Federführend
Prof. Dr. Matthias Maschke, Abteilung für Neurologie und Neurophysiologie, Brüderkrankenhaus Trier, Nordallee 1, 54292 Trier, Tel. 0651/208–2741, Fax 0651/208–2749, E-Mail: m.maschke@bk-trier.de
Finanzierung der Leitlinie
Die Leitlinienerstellung erfolgte mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Eine darüber hinausgehende Unterstützung durch Dritte erfolgte nicht.
Methodik der Leitlinienentwicklung
Bei dieser Leitlinie handelt es sich um eine Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Diese Leitlinie entstand ohne Unterstützung oder Einflussnahme durch die Industrie. Die Kosten wurden von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie getragen. Korrigiert durch die Kommission Leitlinien der DGN und den Vorstand der DGN. Endgültig verabschiedet durch die Expertengruppe im Umlaufverfahren im Januar 2014.
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